„Denn es wird mancher falsche Messias und mancher falsche Prophet auftreten und sie werden große Zeichen und Wunder tun, um, wenn möglich, auch die Auserwählten irrezuführen.
Denkt daran: Ich habe es euch vorausgesagt.
Wenn sie also zu euch sagen: Seht, er ist draußen in der Wüste!, so geht nicht hinaus; und wenn sie sagen: Seht, er ist im Haus!, so glaubt es nicht.
Denn wie der Blitz bis zum Westen hin leuchtet, wenn er im Osten aufflammt, so wird es bei der Ankunft des Menschensohnes sein.
Überall wo ein Aas ist, da sammeln sich die Geier.“

(Matthäus 24,24 – 24,28)

antichristFresko in der Cappella di San Brizio im Dom von Orvieto: Im Zentrum des Bildes steht ein Redner auf einem kleinen Podest, der zu einer um ihn versammelten Menge spricht. Anfangs hat man noch den Eindruck, dass es sich hierbei um die Darstellung einer typischen Predigt eines Propheten, Apostels oder sogar von Jesus selbst handeln könnte. Doch auf den zweiten Blick wirkt die Szenerie deutlich unheimlicher, denn der Teufel flüstert dem falschen Messias die Worte ins Ohr. Wie bei einem Puppenspieler führt er die Hand des Redners, der gerade versucht die anwesenden Personen zu verführen. Während links im Vordergrund ein Mann unter seinem Einfluss bereits die ersten Gräueltaten verübt, eine Frau Geld für Prostitution entgegennimmt und im Hintergrund Enoch und Elia hingerichtet werden, bleibt die Gruppe der zweifelnden Frommen direkt hinter ihm ungehört.

Das Fresko „Predica e fatti dell’Anticristo“ (Predigt und Machenschaften des Antichristen) von Luca Signorelli war zu seiner Zeit die vielleicht bedeutendste Darstellung zum Thema „falscher Messias“. 1499 wurde Signorelli mit den Fresken der Cappella di San Brizio im Dom von Orvieto beauftragt. Zwar hatte zuvor am selben Ort bereits Beato Angelico einige Fresken gemahlen, doch erst 40 Jahre später beendete Signorelli die malerische Ausgestaltung der Kapelle. Vermutlich beeinflusst von der Offenbarung des Johannes, der Legenda Aurea und Dürers Apokalypse entstand ein Freskenzyklus, welcher sich mit den Themen, Apokalypse, Auferstehung, Höllenfahrt und dem jüngsten Tag beschäftigte.  Auch Michelangelos jüngstes Gericht in der Sixtinischen Kapelle in Rom soll wesentlich von Signorellis Fresken im Dom von Orvieto beeinflusst worden sein.

hoelle_himmelSignorellis Werke entstanden zu einer Zeit als aufgrund der Wirren in Italien um 1500 Weltuntergangsfantasien besonders populär waren. Vor allem eine Figur dürfte ihm als Vorlage für seine Gemälde gedient haben – Girolamo Savonarola. Der Dominikanerprediger hatte 1494 die Macht in Florenz übernommen und eine Volkherrschaft errichtet, nachdem die Medici zuvor durch den französischen König Karl VIII. gestürzt worden waren. Karl befand sich gerade auf einem Italienfeldzug, um französische Interessen im Königreich Neapel durchzusetzen. Quasi im „Vorbeigehen“ eroberte sein Heer während des Feldzuges Florenz, wo der französische König in Savonarola einen wortgewandten Verbündeten fand.

Savonarolas Anziehungskraft auf das gemeine Volk war enorm. Er zog die Massen in seinen Bann und predigte täglich vor tausenden Menschen im Dom von Florenz gegen Macht, Gier und Reichtum der etablierten weltlichen und geistlichen Eliten. Der junge Niccolò Machiavelli, der als Beobachter nach Florenz entsandt wurde, beschrieb damals die sprachliche Gewandtheit von Savonarola in einem Brief an Ricciardo Bechi 1497:

„Ma avendo dipoi la Signoria scritto in suo favore al papa, e veggiendo non gli bisognava temere più degli adversarii suoi in Firenze, dove prima lui cercava d’unire sola la parte sua col deextare gli adversarii e sbigottirgli col nome del tyranno, hora, poi che vede non gli bisognare più, ha mutato mantello, e quegli all’unione principiata confortando, nè di tyranno, nè di loro scelerateze più mentione faccendo, d’innaglienirgli tucti contro al sommo pontefice cerca, e verso lui e’ suoi morsi rivoltati, quello ne dice che di quale vi vogliate sceleratissimo huomo dire si puote…“

„Nachdem die Signoria dem Papst ein Schreiben zukommen lies, in welchem sie sich für Savonarola ausgesprochen hatte, musste er sich nicht mehr vor seinen Gegnern in Florenz

[in den Reihen der Signoria] fürchten. Wo er zuvor versucht hatte, seine Anhängerschaft zu einen, indem er die Gegner als Tyrannen verunglimpfte, wechselte er jetzt, wo dazu keine Notwendigkeit mehr bestand, sein Mäntelchen. Bei der Hauptversammlung tröstet er sie und sprach weder von Tyrannen noch von ihrer Verruchtheit. Stattdessen versucht er alle gegen den Papst und dessen Angriffe aufzubringen und schimpft jenen auf eine Art und Weise, wie man dies nur über die bösartigste vorstellbare Person tun würde.“

(Macchiavelli, Brief an Ricciardo Bechi)

auferstehungOffenbar wechselte Savonarola, je nachdem ob er eher Gefahr von Seiten der städtischen Politik oder von Seiten des Papstes fürchtete, den Inhalt seiner Reden noch am selben Tag. Zeitgenossen tun sich schwer mit seiner Einordnung und Beurteilung. Von Bewunderung für den gewandten Redner, Anführer einer Volksregierung und Verfasser einer florentinischen Verfassung mit eindeutig republikanischen Prinzipien bis zur entschiedenen Ablehnung des religiösen Fanatikers und Apokalyptikers, der bedeutende Kunstwerke der damaligen Zeit am Hauptplatz in Florenz verbrennen ließ, gehen die Berichte zu Savonarola auseinander. So übergab auch der berühmte Maler Sandro Botticelli – aus Überzeugung oder aus Angst vor Repressalien – während einer öffentlichen Bücherverbrennung durch Savonarola eigenhändig einige seiner Kunstwerke den Flammen.

Doch bereits 1498 fand der begnadete Redner Savonarola selbst ein grausames Ende. Nachdem der Italienfeldzug des französischen Königs erfolglos endete, verblieb Florenz als Verbündeter der Franzosen zwischen Kirchenstaat und Venedig (Heilige Liga) weitgehend isoliert im Italien des Renaissancezeitalters. Vom Papst Alexander VI. exkommuniziert verloren seine Anhänger im Frühjahr 1498 die Wahlen zur Signoria. Kurz darauf wandte sich die öffentliche Stimmung gegen Savonarola. Als Ketzer gebrandmarkt wurde  er auf der Piazza della Signoria gehängt und anschließend verbrannt.

hoelleSignorelli (1454-1523), einer der Meister der Florentinischen Schule, stand Zeit seines Lebens sowohl im Dienste des Papstes als auch im Dienste von Lorenzo di Medici („Lorenzo il Magnifico“). Obwohl  die weltlichen Medici nicht immer unbedingt im besten Einvernehmen mit dem jeweiligen Papst standen (während der Pazzi-Verschwörung von 1478 versuchten florentinische Adelige mit Unterstützung des Papstes noch die Medici zu töten), war man sich in der Beurteilung des Predigers Savonarola als Gefahr für weltliche und kirchliche Macht einig. Vor diesem Hintergrund ist vermutlich auch Signorellis Predigt und Machenschaften des Antichristen zu verstehen. Das Fresko zeigt die Predigt des falschen Propheten und warnt den Betrachter vor dem Schicksal, welches den Antichristen und dessen Anhänger erwartet.

Das Gemälde ist der Auftakt zu Signorellis Freskenzyklus, der den jüngsten Tag zu einem Spektaktel, einem Welttheater (theatrum mundi) macht, welches vor Ideenreichtum und Fantasie nur so strotzt:

„…nella quale [capella] fece tutte le storie della fine del mondo con bizzarra e capriciosa invenzione: Angeli, demoni, rovine, terremuoti, fuochi, miracoli d’anticristo, e molte altre cose simili; oltre ciò, ignudi, scorti e molte belle figure, immaginandosi il terrore che sarà in quello estremo e tremendo giorno.“

„…er führte die Geschichte vom Ende der Welt mit bizarrem und kapriziösem Einfallsreichtum aus: Engel, Dämonen, Ruinen, Erdbeben, Feuer, die Wunder des Antichristen und zahlreiche weitere ähnliche Dinge; Akte, perspektivischen Verkürzungen und schöne Darstellungen, die den Schrecken, der an diesem extremen und furchteinflößenden Tag herrschen wird, verdeutlichen.“

(Vasari, Le Vite, Bd. 3, 673)

hoelle_closeupTreffend charakterisiert der Universalkünstler und Biograph zahlreicher italienischer Künstler, Giorgio Vasari, das Schaffen Signorellis. Er war es auch, der darauf hinwies, dass Signorelli neben bedeutenden Persönlichkeiten wie Cesare Borgia auch sich selbst in seinen Gemälden versteckte. Stellte Signorelli sich in der Predigt des Antichristen noch am Rande der Szene abseits als Zuseher dar, so greift er im Gemälde „Dannati al’inferno“ („Die Verdammten“), als wildgewordener Dämon, der eine nackte Frau umschlingt, direkt ins Geschehen ein. Das diabolischen Grinsen des Dämons lässt vermuten, dass Signorelli mit sichtlicher Freude an seiner Darstellung der Apokalypse arbeitete.

Der Dom von Orvieto:

orvieto_domDer Dom von Orvieto (Cattedrale di Santa Maria Assunta) wurde zwischen 1288 und 1308 erbaut.  Im Kontrast zu den engen Gassen von Orvieto wirkt das mächtige Bauwerk, dessen Mauerwerk die typische schwarz-weiß-Abfolge wie jene des Domes von Siena aufweist, ganz besonders beeindruckend. Sehenswert ist neben der Cappella di San Brizio vor allem die im Laufe des 14. Jahrhundert vollendete berühmte Domfassade. Nach Vorlage von Lorenzo Maitani wurde hier ein Gesamtkunstwerk geschaffen, welches sowohl typische italienische als auch normannische Merkmale (Frankreich) aufweist. Die Wirkung der Fassade ist besonders in den späten Nachmittagsstunden spektakulär, wenn die untergehende Sonne die Fresken und Wandreliefs noch lebhafter wirken lässt (Adorno, L’arte italiana, 795f).

Freskensyklus in der Kapelle von San Brizio:

  • Predica e fatti dell’Anticristo
  • Finimondo
  • Resurrezione della carne
  • Salita al Paradiso e chiamata all’Inferno
  • Dannati all’Inferno
  • Beati in Paradiso

Literatur:

  • Adorno, Piero, L’arte italiana, Dall’alto medioevo all’arte gotica, Bd. 1/3, Florenz 1992, S. 795-798.
  • Cruttwell, Maud, Luca Signorelli, eBook, Projekt Gutenberg, 2009: http://www.gutenberg.org
  • Henry, Tom, The Life and Art of Luca Signorelli, Yale University Press 2012.
  • Machiavelli, Niccolò, Opere a cura di Mario Bonfantini, ed. R. Ricciardi, Milano-Napoli, 2006. Zitiert nach: http://it.wikisource.org
  • Piper, Ernst, Savonarola: Prophet der Diktatur Gottes, Zürich 2009.
  • Paolucci, Antonio, Luca Signorelli, in Pittori del Rinascimento, Scala, Firenze 2004 S. 288-307.
  • Vasari, Giorgio, Le vite de‘ più eccellenti architetti, pittori, et scultori italiani, da Cimabue insino a‘ tempi nostri, Firenze 1568. Zitiert nach Wikisource: http://it.wikisource.org
  • Vischer, Robert, Luca Signorelli und die italienische Renaissance, eine kunsthistorische Monographie, Leipzig 1879. Auch: http://archive.org

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