„Als Leto dich gebar, die gebietende, König Apollon,
Während ihr zierlicher Arm fest um die Palme sich schlang,
Aller Unsterblichen Schönsten, am Bord des gerundeten Landsees,
Da ward Delos erfüllt rings, die unendliche Flur,
Voll ambrosischen Duftes, es lachte die riesige Erde,
Und laut jauchzten des Meers grauliche Wogen im Grund.“
(Theognis von Megara, Trinklieder, in: Mörike, Lyrik, 34)
Nachdem Delos im mykenischen Zeitalter erstmals an Bedeutung gewann, dürfte mit den Ioniern (ca. 1100-900 v. Chr) der Kult um Leto, Apollon und Artemis auf die Insel gekommen sein. Der Mythos rund um die Geburt der beiden Götter findet sich in der Antike in zahlreichen literarischen Variationen. Auch Homer trug mit seinem aus dem 7. Jh. v. Chr. stammenden Apollonhymnos zur Berühmtheit der Insel bei. Neben dem Entstehungsmythos beschreibt er das Delos seiner Zeit bereits als Versammlungszentrum der Ionier, als Ort der Opfergabe, der Feiern und Wettkämpfe (Homer, Apollonhymnos). Homer bezieht sich damit bereits auf das pangriechische Delische Fest, welches mit Unterbrechungen über viele Jahrhunderte auf Delos begangen wurde. 426 v. Chr. wurde das Fest unter großem Aufwand von den Athenern erneuert und durch die delischen Spiele ergänzt.
Die heilige Insel – die Anfänge des Apollonheiligtums
Der Insel des Handels – Theaterviertel und Erweiterung des heiligen Bezirkes
Aufgrund der Popularität des Apollonheiligtums begannen sich immer mehr Menschen in Delos anzusiedeln. Die unmittelbare Nähe der Siedlungen und Gräber nährte schon bald die Angst, dass die Ruhe des mächtigen Gottes durch den Menschen gestört werden könne:
„Im selben Winter vollzogen die Athener eine Reinigung auf Delos, wohl nach Weisung irgendeines Orakelspruches. Auch Peisistratos, der Tyrann, hatte schon früher die Insel gereinigt, aber nicht die ganze, sondern nur so weit man vom Tempel aus überblicken konnte. Damals aber wurde sie zur Gänze gereinigt: Was von Gräbern der Toten auf Delos vorhanden war, alle exhumierten sie, und für die Zukunft schrieben sie vor, dass man auf der Insel weder sterben noch dort gebären dürfe…“
(Thukydides, Der Peloponnesische Krieg, 3, 104)
Nach dem Zusammenbruch der athenischen Vormachtstellung in der Ägäis entwickelte sich Delos unter makedonischen Einfluss im 3. Jh. v. Chr. schrittweise zu einem wichtigen Handelsplatz. Zahlreiche Kaufleute begannen sich auf der Insel anzusiedeln und im Schatten des Heiligtums gewann der Getreide- und Sklavenhandel mehr und mehr an Bedeutung (Strabon, X 5,4). In diese Zeit fällt auch die erste massive Siedlungstätigkeit im sogenannten Theaterviertel, eine zivile Siedlung, welche sich vom heiligen Bezirk bis zum neu errichteten großen Theater an den Hängen des heiligen Berges Kynthos erstreckte.
168 v. Chr. besiegten die Römer die Makedonier und übergaben die Insel zur Verwaltung wieder den Athenern. Doch nicht einmal massive Eingriffe der Athener wie die Vertreibung der Delier im Jahr 166 v. Chr. (die Vertreibung der Einwohner und die Neugründung einer Stadt durch eigene Siedler war ein grausames „Standardprozedere“ im alten Griechenland) konnte das Wachstum von Delos stoppen. Die Insel entwickelte sich durch den Zuzug von Kaufleuten aus der gesamten Mittelmeerregion zu einer kosmopolitischen Siedlung, die bis zu 25000 Einwohner beherbergte.
Der Untergang
Der Untergang kam für die ungeschützte Insel relativ abrupt. Zu lange verließ man sich auf den Ruf von Delos als heiligen Ort. Im Kampf um die Vorherrschaft in der Ägäis und im Schwarzen Meer führte Mithridades, der König von Pontus, von 89 v. Chr. bis 63 v. Chr. einen erbitterten Krieg gegen das römische Reich. Im Zuge dieser Auseinandersetzungen wurde Delos, deren Bewohner auf der Seite der Römer standen, schließlich 88 v. Chr. von Mithridades erobert:
„Menophanes, ein Heerführer des Mithridates… landete mit seinen Dreirudern in Delos; und da die Insel nicht befestigt war, und die Einwohner keine Waffen hatten, so machte er ohne Unterschied, sowohl die Fremden, die sich gerade da aufhielten, als auch die Delier selbst nieder, schleppte viele Kaufmannsgüter und alle Weihgeschenke fort, machte außerdem Weiber und Kinder zu Sklaven, und die Stadt Delos selbst dem Erdboden gleich.“
(Pausanias, Griechenland, 3.23, S. 370)
Die Insel wurde zwar von Rom zurückerobert, aber bereits 69 v. Chr. erneut von Piraten unter Athenodoros, einem Verbündeten des Mithridades, erobert und zerstört. Obwohl die Stadt in der Folgezeit von einer Mauer umgeben wurde, erholte sie sich nie mehr von den Folgen der Zerstörung. Im Mittelmeer entstanden neue Handelszentren und die Stadt schrumpfte unaufhaltsam. Im 2. Jh. n. Chr. wird sie vom Historiker Pausanias in seiner Reise durch Griechenland bereits als weitgehend verlassen beschrieben (Pausanias, Beschreibung Griechenland, 8.33, S. 841).
Literatur:
- Theognis von Megara, Trinklieder, in: Eduard Mörike, Griechische Lyrik, ed. Walther Killy, Frankfurt am Main 1960. Siehe auch: http://gutenberg.spiegel.de/
- Nigel McGilchrist, Greece – the Aegean Islands, Blue Guide, ed. Heinrich Hall, Michael Metcalfe, London 2010, S. 64-82.
- Homer, Apollonhymnus, in: Eduard Mörike, Griechische Lyrik, ed. Walther Killy, Frankfurt am Main 1960. Zitiert nach: Projekt Gutenberg http://gutenberg.spiegel.de/
- Pausanias Periegeta, Beschreibung von Griechenland, aus dem griech. von H. Reichardt, Bd. 8, Stuttgart 1855, in: Griechische Prosaiker in neuen Übersetzungen, ed. Christian Nathanael von Osiander, Gustav Schwab, Bd. 237, Stuttgart 1854.
- Pausanias, Periegeta, Beschreibung von Griechenland, aus dem griech. von Karl Gottfried Siebelis, Bd. 3, Stuttgart 1828. Zitiert nach: GoogleBooks: Link zu Eintrag bei Google Books
- Pindar, Fragment 33d, übersetzt von R. Hampe, in: Erika Simon, Die Götter der Griechen, München 1985, S 136.
- Thukydides, Der Peloponnesische Krieg, 3, 104, ed. Helmuth Vretska, Werner Rinner, Reclam, Stuttgart 2002.
- Maria Ypsilanti, Deserted Delos: A Motif of the Anthology and Its Poetic and Historical Background, in: Greek, Roman, and Byzantine Studies 50 (20 10 ) S. 63 – 85.
- Photini Zaphiropoulou, Delos – Denkmäler und Museum, Athen 2007.
Webpages:
- Leto, in: Theoi Greek Mythology, Exploring Mythology in Classical Literature and Art. http://www.theoi.com/